DIE VORDENKER Michael Prònay, A la Carte, 2000
Presse
Er steht fest verwurzelt wie ein knorriger Baum, der Wind und Wetter trotzt, der den Widrigkeiten der Natur und des Menschen mit Ruhe und Beharrungsvermögen seinen Willen und sein Vorstellungen entgegensetzt: Anton Kollwentz, Pionier aus Großhöflein, dem mit den Jahren mit dem Junior Andi ein kongenialer Partner an die Seite gewachsen ist.
Michael Pronay: Wann und wie hat´s denn im Hause Kollwentz begonnen, der Aufstieg? Das war doch schon vor dem ominösen Jahr 1985?
Anton Kollwentz.: Lange vorher. Als junger Mensch, mit 16, bin ich in die Bauernschule gegangen, wie das damals geheißen hat; heute ist´s die Landwirtschaftliche Fachschule. Ich war damals eigentlich den Viechern eher zugetan als dem Wein. Ich hab´ zwar immer im Kellermitgeholfen, aber das Vieh ist mir nähergestanden. Wie ich aber zurückgekommen bin, habe ich die klare Vorstellung gehabt: Wein. Denn die Größenordnung eines vernünftig bewirtschaftbaren Betriebs ist – in unserer Region – mit dem Wein ja doch eher zu erreichen als mit der Viehzucht.
Mit 18 habe ich dann mehr oder weniger den Keller selber übernommen, durfte alles selber machen. 1963 dann ist es mir gelungen, den ersten Ausbruch zu ernten – 27, 28°KMW waren das damals. Das war insofern eine Sensation, als niemand außerhalb von Rust geglaubt hätte, dass es so was überhaupt gibt. Und selbst in Rust war’s keineswegs Allgemeinwissen. Jene paar Betriebe, die sich schon damals damit beschäftigt haben, die haben es schon gewusst, aber beileibe nicht jeder Ruster hätte das geglaubt.
Den Wein habe ich dann auf die damals ganz junge Weinbewertung nach Laibach geschickt, wo er prämiert worden ist. Etwa 1965 begann dann die burgenländische Weinprämierung, wo ich mit einem Rotwein eine Medaille gemacht habe. Natürlich war’s noch kein Rotwein im heutigen Sinn, aber ich hab’ mich damals engagiert, die Qualität bewusst so hoch wie möglich zu halten. Das bedeutete damals in erster Linie die Prädikatsweine. Erst 1966 hab ich die erste Trockenbeerenauslese machen können, mengenmäßig eher ein bescheidener Jahrgang, nach 1965, dem vielleicht schlechtsten Jahr nach dem Krieg. 1964 gab’s eine Riesenernte mit eher bescheidenen Qualitäten. 1967 war ganz ein toller Jahrgang, da gab’s alles, von Spätlese über Auslese bis zu Trockenbeerenauslese…
Michael Pronay: …Oh ja, ich erinnere mich an eine Spätlese, die wir einmal gemeinsam getrunken haben…
Anton Kollwentz: Richtig. Jedenfalls hatten wir mit den Weinen eine große Freude. Damals war alles noch reiner Ab-Hof-Verkauf. 1968 ging’s wieder bis zur Auslese, 1969 war dann der Riesenjahrgang mit solchen Mengen an Prädikatswein, dass selbst ich mir gedacht habe: In den nächsten 20 Jahren können wir das nicht verkaufen.
Und dann hab’ ich irgendwann die Idee gehabt: Wenn man an die Topgastronomie herantreten würde, die könnte ja so was brauchen. Meine Kenntnis von dieser Gastronomie beschränkte sich allerdings in jener Zeit auf das Wissen das einem diese bunten Blatteln vermittelt haben, die man beim Haarschneider gelesen hat. Und da stand zu lesen, dass die holländische Königsfamilie am Arlberg Urlaub macht, in der Post in Lech. 1969, Anfang November, haben wir uns dann gedacht: Gut, packen wir Kostproben ein und fahren damit nach Westen und zeigen sie bis am Arlberg.
Ausgekannt haben wir uns nicht besonders. Jedenfalls fahren wir die Salzachtalbundesstraße entlang. Der Fischwirt, ein schönes Haus, jede Menge Fernlaster davor. Ob wir’s da probieren sollten? Nein, fahr’ ma noch ein bissel weiter – aber es waren nicht die Fernlaster, sondern weil wir gehemmt waren. Hinter Zell am See, Alpenblick, beim Mittagessen, kommen wir mit dem vifen Kellner ins Gespräch: Ja, wir sind aus dem Burgenland, und wir hätten Wein anzubieten. Worauf er meinte, das wäre hier nichts, aber nach Saalbach, dorthin sollten wir. Dort könne man so was brauchen. Gut, fahren wir nach Saalbach. Bis wir dort waren, war’s schon fast finster, es hat geschneit, Matsch war auf der Straße. Wir stehen vor dem Alpenhotel: Betrieb bis 20. Dezember geschlossen. Die Stimmung war entsprechend. Wie wir so gestanden sind kommt ein älterer Herr, sehr agil, sehr wendig, und fragt was wir wollen? Wir sagen, wir sind Weinbauern aus dem Burgenland und wollen Wein anbieten. Darauf stellt sich heraus, dass er Ungar ist, und wir als Burgenländer sind da natürlich sofort nahe verwandt. Dann sind wir mit dem Herrn Ing. Höcke, so hat er geheißen, rein ins Alpenhotel. Der Herr Ing. Höcke hat die Familie gut gekannt und so haben wir mit dem Junior Helmut Thomas zu diskutieren begonnen. Helmut Thomas wollte von burgenländischen Weinen nichts wissen.
Er hat gesagt, burgenländischer Wein ist schwer, süß und man kann ihn nicht verkaufen. Wir hätten natürlich sofort gesagt, „Danke und Auf Wiedersehen“, aber der Ing. Höcke hat nicht locker gelassen. Dann fragt er uns, „Habt’s Ihr Proben mit?“. Natürlich hatten wir. Also ging’s los mit der Verkostung. Dann kam auch noch die Seniorchefin, Frau Thomas und hat ebenfalls mitgekostet. Die Weine haben ihnen alle gefallen, wir hatten auch einige 67er dabei und Frau Thomas hat gemeint, „Der 67er war in Deutschland ein gutes Jahr und der würde bei unseren deutschen Gästen bestimmt gut ankommen, aber wir haben schon die Weinkarte gedruckt, also alles spricht dagegen“.
Der Ing. Höcke hat das natürlich wieder nicht gelten lassen, „Da legen wir ein Blatt rein mit Empfehlungen und es geht schon“. Schließlich haben sie 700 Flaschen bestellt, eine Menge die für uns damals bedeutender war als wenn heute jemand sagt er will 10.000. Am nächsten Tag sind wir gleich in der Früh heim gefahren weil wir für das Etikettieren allein ja schon eine Woche gebraucht haben. Das war der Anfang. Nächstes Jahr im Mai waren wir dann in Kempten im Allgäu, weil dort jemand angefragt hatte. Bei der Rückfahrt sind wir dann doch noch über den Arlberg gefahren, über den ich zuletzt mit 14,15 mit einer Jugendgruppe gewandert war. Also gut, in Lech gehen wir in den Almhof Schneider. Herr Gebhard Schneider: “Hören S’, süßer Wein ist unverkäuflich. Was wir brauchen, ist ein trockener Weißer und ein Roter. Weil unsere Leut’ trinken zum Essen Wein, und hinterher trinkt man Whisky oder Cognac. Aber Ihr habt doch so schöne Rotweine?“ Er war nämlich als junger Mensch in der Militärakademie in Wiener Neustadt gewesen und hatte das Burgenland ein bissel kennengelernt. Ich darauf: „Trockene Weine haben wir eh alle Jahr. Edelsüße, das ist das Schwierige, das Besondere. Und Genossenschaften und Weinhandel bieten das andere ja eh an. Aber daran soll’s nicht scheitern, die Proben kann ich Ihnen schicken.“ Also gut, wir kamen ins Geschäft, und ein Jahr später waren wir dann in der Post in Lech, beim Franz Moosbrugger. Der hat mir wirklich sehr geholfen. Wenn der einen Kollegen angerufen hat, dann war die Sache schon ziemlich geregelt. Ich bin ja nicht als Vertreter hingekommen.
Michael Pronay: Waren es dort auch eher die trockenen Weine?
Anton Kollwentz: Überall. Der ganze Arlberg. Saalbach war eigentlich die Ausnahme, weil dort gab’s viel Nachtgeschäft in den Tanzlokalen und Kuhstallbars. Zum Essen werden die schon trockenen Wein getrunken haben, aber hinterher ist halt so ein süßlicher recht fein.
So, damit hatten wir einen Kundenstock, den wir dann über die Jahre auch gepflegt haben und einmal im Jahr abgefahren sind. Mit der Zeit haben wir und dann immer mehr auf die trockenen Weine konzentriert – die edelsüßen aber schon weitergepflegt -, weil die Nachfrage da war. Trotzdem: Es war diese Welt der Edelgastronomie für uns etwas völlig Neues. Man übernachtet in feinen Häusern, man isst Dinge, die man nicht nur noch nie gesehen hat, sondern von denen man nicht einmal gewusst hat, dass es das gibt. Ehrlich: Zehn Tage Schwerarbeit in größter Hitze im August wären mir leichter gefallen als diese Touren. Ich hab’ dann einmal zum Moosbrugger-Franz gesagt – wir waren fast gleich alt, und da redet man sich leichter:
„Oft denk’ ich mir, ein bisserl mehr Vertreternatur, und wir täten uns viel leichter!“ Er drauf: „Wenn Du eine Vertreternatur wärst, ich hätt’ Dich nicht einmal angehört. Denn Vertreter hab’ ich jeden Tag zehn da. Bei Dir aber hab ich das Gefühl gehabt: Was Du sagst, das meinst Du auch so.“ Und das war eine der großen Überraschungen. Ich hab’ immer geglaubt, mein bäuerliches Auftreten ist hinderlich, ist negativ. Daß es genau umgekehrt war – das hätte ich nie geglaubt.
Das Geschäft war übrigens nicht überall gleich. In Salzburg zum Beispiel haben wir kaum Rotwein verkauft, aber Rosé, jeder Menge Rosé. Beim Rotwein hatten wir keine Chance: Baron di Pauli, der leichte, unkomplizierte Südtiroler, das war der Wein. Aus Frankreich gab’s ausschließlich Châteauneuf-du-Pape, noch nicht einmal Beaujolais, der kam erst später. Mit dem Erfolg kam dann auch die Möglichkeit, in den Betrieb zu investieren, Grund zu kaufen, Weingärten auszusetzen und so weiter. Und dann kam das leidliche Jahr 1985. Ich war natürlich auch nicht glücklich darüber, dass der Wein so in den Schmutz gezerrt wurde, aber andererseits war ich noch nie so schnell ausverkauft wie in dieser Zeit. Der Konsument hat anerkannte, verlässliche Namen gesucht, und ich war dabei.
Michael Pronay: Ich erinnere mich an die Zeit, ich war damals Sommelier im Korso, und der Sauvignon kam langsam in Mode. Wir hatten damals nur den Welschriesling auf der Karte, aber ich war trotzdem glücklich, als mir Ihre Frau auf meine Anfrage nach längerem Zögern erklärte, ja es wäre möglich, dass wir etwas bekommen könnten.
Anton Kollwentz: Das stimmt auch. Wir waren damals stark geprägt von der Art von Gastronomie, an die wir geliefert haben. Jeder hatte eine gedruckte Weinkarte und hat gesagt: „Ich muß aber die ganze Saison den Wein bekommen!“. Jetzt war man natürlich eher vorsichtig, wir haben gewissermaßen für die Kunden im voraus mitgedacht, der braucht so viel, der so viel. Wenn heute ein Wein eines Jahrgangs ausverkauft ist, dann akzeptiert das jeder. Damals war das wesentlich schwieriger.
Michael Pronay: Ist das nicht heute im Westen auch noch ein wenig so?
Anton Kollwentz: Mag sein. Damals aber waren wir sehr geprägt von der Vorstellung, und sehr gewissenhaft waren wir sowieso immer: Wir haben gewusst wie schwierig es ist, auf die Karte zu kommen, und wollten dann nicht in der nächsten Saison wieder weg vom Fenster sein.
Tja, und dann ging’s weiter, die Entwicklung – auch für viele andere Betriebe -, ging eindeutig in Richtung Qualität, in Richtung trockener Wein, und die Basis wurde immer breiter, Gott sei Dank.
Michael Pronay: Waren die Kollwentz’ die ersten, die diese Entwicklung vorhergesehen hatten? Wie war das mit Stiegelmar?
Anton Kollwentz: Der war etwas später. Wer schon deutlich vor 1985 mit guter Qualität aufdem Markt war, war Patzenhofer, also der Klosterkeller Siegendorf. Der hat mit seinem Weißburgunder und dem – damals – neuen Namen Pinot blanc einen Riesenerfolg gehabt, konnte gut verkaufen und wurde über die vielen Weinkarten, auf denen er vertreten war, auch sehr bekannt. Das dürfte der erste gewesen sein. Und wenn ich zurückdenke: Im Westen des Landes war die Wachau nicht vorhanden. Ein bissel die Winzer Dürnstein, vor allem aber Salomon. Der war noch vor Jamek im Geschäft, der dafür im Osten des Landes sehr stark war. Im Burgenland kam dann der Schurl (Stiegelmar), auf dem Rotweinsektor Hans Igler, und nach 1985, der Stunde Null, ist’s dann sehr rasch, Schlag auf Schlag, gegangen. Die Handvoll Betriebe, die sich schon vor ’85 bemüht hatten, konnten dann den Lohn einfahren, denn da war plötzlich die Konkurrenz durch die Panscher weg.
Michael Pronay: Bei Kollwentz denken viele an Rotwein. Wann gab’s denn eigentlich den Schub von “bemüht und sauber“ hin zu den Weinen, wie wir sie heute kennen und die auch international Anerkennung finden?
Anton Kollwentz: So Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre ist so ziemlich alles im Gebinde verkauft worden. Der Weinhandel war der Großabnehmer, und im Bestreben, möglichst kräftige Rotweine zu erzielen, kam’s zu Fehlentwicklungen. Überaufgedonnerte Weine mit 15 und 16 Volumsprozent sind da schon vorgekommen. Die burgenländische Weinprämierung hat dann einen Einschnitt gebracht. Weil alkoholreiche und sogar mit ein bissel Zuckerrest abgerundete Weine immer vorne lagen, gab’s eine starke Gegentendenz; nicht zuletzt deshalb, weil im Westen Österreichs ja nach wie vor der leichte Südtiroler kommerziell sehr erfolgreich war. Worauf eine Alkoholobergrenze eingezogen worden ist: Wer drüber lag, wurde nicht prämiert. Das hat einmal geholfen, die Alkoholwerte zu stabilisieren.
Michael Pronay: Damit waren die Roten von damals aber noch nicht die Roten von heute…
Anton Kollwentz: Nein, nein. Gute Jahrgänge gab’s 1971, ein Jahr wie 1997: Reife, keine Botrytis, völlig gesund. ’72 war schwach, ’73 war schön, ’74 mittel, ’75 und ’76 nicht schlecht, aber doch auch mit Botrytis. ’77 war weiß grandios, rot aber nicht so sehr. 1979 wäre mit dem heutigen Wissen ganz groß geworden, und es gibt immer noch Weine, die auf der Höhe sind. 1983 war gut, ist heute noch interessant, hohe Reife bei wenig Säure, was beim Roten ja Vorteile hat. 1985 hat’s begonnen: Frost, kleine Menge, da hat von Natur aus alles gepasst; Barriques wurden eingesetzt. 1986 war die Erwartungshaltung groß, das Ergebnis vielleicht weniger: Der biologische Säureabbau war noch nicht wirklich im Griff. 1988 war eine Wende: Damals hat erstmals auf breiter Basis das Wissen um den biologischen Säureabbau gegriffen. Ausgangspunkt war ein Vortrag von Prof. Eggenberger aus Wädenswil beim Weinforum Alpbach, der sehr viel gebracht hat. Der Veranstalter hatte mich damals gefragt, was uns Winzer interessieren würde: die Malolaktik, aber Sie werden in Österreich niemanden finden, der darüber wirklich Bescheid weiß. Nach den eineinhalb Stunden Vortrag habe ich zu meiner Frau gesagt: Das ist der erste, der weiß wovon er spricht und jetzt weiß ich auch, wo unsere Fehler liegen. Das mit der Temperatur (20°C) war gekannt, aber dass man die Kohlensäure beachten sollte, das wussten wir nicht. Wir haben geglaubt: Oben Bakterien rein – und fertig. Dass es bis zu 40 Tage dauern könne, war nicht klar. Viele – wir auch – haben damals aus Furcht, der Wein könne instabil werden, abgeschwefelt, nicht wissend, dass das CO² der Malolaktik selbst ein guter Oxidationsschutz ist, wenn man das Fass sauber voll hält.
Ich bin dann mit dem Vortragsmanuskript zu Walter Flak vom Bundesamt, und der hat dann Rudolf Krizan, bekannter als Kellermeister der Barmherzigen Brüder in Eisenstadt, für das Projekt Malolaktik freigestellt. Der hat dann die Bakterien im Labor angezüchtet. Aber das weiß der Andi besser…
Andi K.: Das ging in mehreren Stufen, denn diese Bakterien müssen zuerst in Orangenjuice angezüchtet, dann an Wein gewöhnt und im Betrieb zuerst in einem 50-, dann in einem 500-Liter-Gebinde weiterentwickelt werden.
Michael Pronay:Gab’s da nicht schon fixfertige Bakterien aus Wädenswil?
Anton Kollwentz: Doch, aber nicht in der Menge. Die Vermehrung aber geht in Orangenjuice wesentlich einfacher. Inzwischen gibt’s aber schon Starterkulturen für den Wein.
Michael Pronay:Und seit wann funktioniert’s also?
Anton Kollwentz: In großem Stil seit dem Jahrgang 1988. Da oder dort mag es der Fall gewesen sein, dass der eine oder andere Wein schon vorher die Malolaktik durchgemacht hat, in großem Stil aber sicher nicht. Zufällig hat’s das wahrscheinlich bei uns schon Ende der 50er Jahre gegeben: Wir lagen immer wieder mit den Säurewerten unter vergleichbaren Weinen, und Ing. Szmolyan, der Analytiker und mein Kellerwirtschaftslehrer von der Eisenstädter Schule hat immer wieder gefragt, ob wir denn entsäuerten. Natürlich nicht, denn zu dieser Zeit war auch das Wissen ums Entsäuern kein Allgemeingut. Haute fällt mir das wieder ein, und wir nehmen an, dass die Weine damals den biologischen Säureabbau sofort nach der alkoholischen Gärung durchgemacht haben. Geschwefelt wurde erst gegen Weihnachten. Später, nach der Schule, habe ich nach Schulweisheit gearbeitet: Gärung und rasch abschwefeln. Und damit waren der biologische Säureabbau und die spezifische Bakterienkultur in unserem Keller weg. Ich bin die Lehrer der Klosterneuburger Weinbauschule immer und immer wieder auf Elternsprechtagen angegangen, doch in Sachen Malo etwas zu tun.
Der erste Wein, der keine Starterkulturen gebraucht hat, war 1993. Bis dahin waren Starterkulturen nötig.
Übrigens: Das mit dem biologischen Säureabbau war nicht nur bei uns ein Problem: Auf Castello di Ama hat mir der Kellermeister auch gesagt: Wenn der jedes Jahr von selber ginge, wären wir schon weiter. Dann gab’s eine Zeitlang ungarische Hefen, die den Spaltungsprozess Äpfel- zu Milchsäure im Laufe der Gärung selbst zu erledigen imstande waren. Aber das ging nur in der Theorie, die Laborversuche ergaben unsaubere Töne.
Michael Pronay: Weiter in der Rotweinentwicklung. Ich erinnere mich an ein Schlüsselerlebnis: Gegen Ende 1995 war ich bei einem Essen, wo der Solitaire 1993 von Feiler-Artinger nach einer Riesling-Spätlese 1990 vom Mantlerhof serviert wurde, und erstmals ist es mir passiert, dass ein österreichischer Rotwein nach einem heimischen Spitzenweißen nicht abgefallen ist. Auch bei Kollwentz gab’s vom Jahrgang 1992 auf 1993 eine deutlich schmeckbare Vorwärtsentwicklung, von hart, kantig und tanninbetont in Richtung geschmeidig, charmant, trinkfreundlich und zugänglich, dabei aber nicht weniger lagerfähig.
Andi Kollwentz (lächelt): Na ja, da sind gleich mehrere Sachen passiert. Bei mir war es so, dass ich in der Schule vieles gelernt hatte, bei meinen Praktika in Frankreich aber so viel anderes gesehen habe, dass ich fast am Boden zustört war. 1991 war der erste unfiltrierte Jahrgang: weil mit kompletter Malo und keinem Zuckerrest der Wein mikrobiologisch jedenfalls stabil ist. 1993 haben wir die nächste Schulweisheit über den Haufen geworfen und sind mit den Schwefelwerten drastisch heruntergegangen, denn die Weine waren uns immer noch zu hart. Die Lehre sagt 50 bis 70 mg SO² je Liter. Das war aber zuviel. Versuche mit 30 waren immer noch zu hart. Dann haben wir umgekehrt zu denken begonnen: Nicht mehr Flüssig-SO², sondern elementar, so wie früher, verbrennen, bis nichts mehr geht. Wir sind dann auf 5 bis 10 mg heruntergegangen, allerdings mit viel Gefühl, häufigerem Umziehen, gelegentlichem Nachschwefeln, mit viel Fingerspitzengefühl halt. Das brachte dann im Endeffekt genauso haltbare Weine, aber wesentlich angenehmere Tannine als die einmalige extrem hohe Schwefelung. Das Ganze noch verstärkt durch die Jahrgangscharakteristik: 1992 heiß und trocken, dickschalige Beeren, hohe Tanninwerte; und 1993 mit guter Niederschlagsverteilung hat das ganze Szenario noch deutlich verstärkt, sodass das Ergebnis, das geb’ ich gerne zu, durchaus schmeckbar war.
Michael Pronay: Wieso aber bilde ich mir ein, dass das nicht nur im Hause Kollwentz, sondern auch bei andern der Fall war?
Anton Kollwentz: Ganz einfach: Man hat sich damals ziemlich stark zusammengeredet mit den Kollegen…
Michael Pronay: Da gab’s doch einen „Flying winemaker“ für das Burgenland, von der EU gefördert – Philippe Ricoux, der auch bei Kollwentz beraten hat?
Anton Kollwentz: Ja. Kennengelernt haben ihn die Pannobile-Winzer unter „John“ Nittnaus auf Lilian-Ladouys in Saint-Estèphe. Beginnend mit der Ernte 1995 hat er sie beraten, und ab der Lese 1996 hat er dann für viele andere Winzer gearbeitet, gefördert vom Land und der EU.
Michael Pronay: Bei Euch doch auch?
Anton Kollwentz: Ja, ein Jahr, aber dann haben wir gemerkt, dass wir doch verschiedene Auffassungen auf so manchen Gebieten haben, und wir haben uns in aller Freundschaft getrennt. Bei Süßweinen zum Beispiel lag er mehr auf der Sauternes-Linie, mit Zuchthefe und Nährsalzen und höheren Alkoholwerten. Unsere Linie liegt eher bei 11 oder 12 Prozent, nicht bei 13 oder 14. Unsere händisch ausgelesenen Trockenbeeren haben die Tendenz des früheren Gärstillstands durch den hohen Botrytizin-Anteil, und da wollen wir der Natur nicht Gewalt antun. Beim Chardonnay Tatschler zum Beispiel, da fand er Hefezersetzungstöne, die an Böckser erinnern (und die für das „Burgunderstinkerl“ mitverantwortlich sein dürften) positiv, während wir die bewusst vermieden haben. Auch beim Rotwein lag er mit seinen Vorstellungen doch ein wenig anders als wir.
Michael Pronay:Wie sieht’s denn mit dem 1999er aus?
Anton Kollwentz: Also, klagen dürfen wir nicht, auch wenn es für den Betrieb insgesamt nicht der einförmig ganz, ganz große Jahrgang war. Wir sind in sehr hohem Maße zufrieden, nur der Zweigelt, der hat durch die eine feuchte Woche merklich gelitten. Da haben wir kräftig aussortiert. Aber sonst: ein würdiger Abschluss der 1990er Jahre.